Große Teile der Fangemeinde des 1. FC Kaiserslautern hadern mit einer Schiedsrichterentscheidung am Samstag in Sandhausen, dem FCK einen vermeintlich korrekten Elfmeter zuzusprechen. Und verlieren so den Fokus auf die wahren Ursachen, die den FCK momentan auf der Intensivstation liegen lassen.
Ich habe mich geärgert in der 62. Minute. In jenem Moment, als Schiedsrichter Rene Rohde dem 1. FC Kaiserslautern doch keinen Elfmeter wegen Handspiels geben wollte. Aber nicht wegen der Entscheidung des Schiedsrichters. Sondern, weil abzusehen war, was nach dem Spiel passieren sollte, falls der FCK wieder einmal nicht als Gewinner vom Feld gehen sollte. „Der Schiedsrichter hat uns betrogen“, „Fußballmafia“, „der korrupte DFB“ und so weiter. Zu großen Teilen war das auch so, was man in den sozialen Netzwerken so lesen konnte.
Der Stein des Anstoßes: Der Augenblick, in dem Sandhausens Tim Kister den rollenden Ball mit der Hand berührt. In Rot Spieler des FCK (#1 = Gervane Kastaneer), in Blau Spieler des SVS (#1 = Tim Kister), in Grün Schiedsrichter Rene Rohde, in Gelb der Ball; aus dem TV-Bild rekonstruiert
Die Entstehung
Was genau war eigentlich passiert? Der Ball landet im Elfmeter der Hausherren, es kommt zu einem leichten Kontakt zwischen dem Lautrer Gervane Kastaneer und dem Sandhäuser Tim Kister. Kastaneer blickt kurz zu Schiedsrichter Rohe und stellt das Spiel ein. Kister läuft mit dem Ball in den freien Raum, um ihn dann plötzlich in Erwartung eines Freistoßes zu stoppen und schnell an seinen Mitspieler weiterzuspielen. Daraufhin folgt die große Aufregung auf und neben dem Platz: Kister möchte einen Pfiff des Schiedsrichters vernommen haben, die Lautrer hingegen verlangen wegen des Handspiels natürlich einen Strafstoß. Rohde entscheidet zunächst tatsächlich auf Freistoß Sandhausen, kurz darauf dann doch auf Elfmeter, um letztendlich nach Rücksprache mit seinem Assistenten Schiedsrichterball zu geben. Eine skurille Situation.
Die Entscheidung war korrekt und regelkonform
Relevant in dieser Situation sind die Fußballregeln des DFB 2016/17, Regel 5 („Schiedsrichter“), Absatz 3 („Rechte und Pflichten“), Punkt „Eingriffe von außen“:
„Der Schiedsrichter hat […] das Spiel wegen eines Regelverstoßes oder eines Eingriffes von außen zu unterbrechen oder abzubrechen, z.B. wenn […] ein Zuschauer mit einem Pfiff das Spiel beeinflusst, wird das Spiel unterbrochen und mit einem Schiedsrichterball fortgesetzt…“
Einen solchen Pfiff, mutmaßlich aus dem Fanblock der Heimfans, möchte Kister gehört haben, woraufhin Schiedsrichter Rohde (letztendlich) einen Schiedsrichterball im Strafraum der Sandhäuser gab. Viele FCK-Fans meinten, sie persönlich hätten keinen Pfiff aus dem Zuschauerbereich hören können. Tatsächlich würde ich aber behaupten, dass eine solche Geräuschkulisse für jemanden, der sich innerhalb einer der beiden lärmenden Pulke befindet, schwierig objektiv – will heißen, wie sie auf dem Platz herrscht – einzuordnen ist. Mit seinem Assistenten soll Rohde besprochen haben, ob der Pfiff von der Tribüne laut genug war, um den Spieler irritieren zu können. Dieser schien dies zu bejahen – folglich ist die Entscheidung den Regeln und der Logik nach in Ordnung.
Dem FCK entstand kein wirklicher Nachteil
Ein weiterer Aspekt, der mir persönlich viel zu kurz kommt: Dem FCK wurde durch diese Schiedsrichterentscheidung nichts weggenommen. Bei längerem Nachdenken fällt mir kein halbwegs plausibler Grund ein, warum Kister den Ball hätte sonst mit der Hand spielen wollen. Torschuss auf der Linie mit der Hand abgewehrt? Eine glasklare Torchance, bei der ein Gegenspieler frei mit dem Ball vor dem Torwart gestanden hätte, verhindert? Nein, Kister lief mit dem Ball am Fuß eher Richtung Seitenauslinie, zum Zeitpunkt des Kontaktes mit der Hand völlig unbedrängt. Hätte Kister keinen Pfiff vernommen, hätte er die Situation über den Flügel spielerisch oder „rustikal“ mit einem Befreiungsschlag bereinigen können. Es gibt – außer der Annahme, dass sich Kister sehr sicher gewesen sein muss, dass er einen Pfiff des Schiedsrichters gehört hat – keinen Grund, warum er den Ball sonst in seinem eigenen Strafraum mit der Hand stoppen würde. Das Wichtigste ist aber: Es ging in dieser Situation keine Torgefahr von Seiten des FCK aus. Kein Spieler hat ein sicheres Tor per Hand auf der Linie verhindert. Und es wurde kein Konter und ein Eins-gegen-Eins mit einer Notbremse unterbunden. Dem FCK ist – außer der Tatsache, dass sich viele Fans kurz in der Sicherheit wähnten, einen unberechtigten Elfmeter zugesprochen bekommen zu haben – in dieser Situation kein Nachteil entstanden. Entsprechend tue ich mir mit dem Aufschrei des „Beschiss“ oder zumindest dem Vorwurf einer erneuten (bewussten) Fehlentscheidung gegen den FCK sehr schwer.
Nicht immer sind die anderen schuld
Die Diskussion um diese Szene lässt die wahren Gründe für den letzten Tabellenplatz und vor allem der sportlichen Talfahrt des 1. FC Kaiserslautern außen vor. 90 Minuten miserable Leistung in Sandhausen. Insgesamt 450 Minuten schlechte Leistungen in Nürnberg, gegen Darmstadt, in Düsseldorf, gegen Braunschweig und in Kiel schon vorher. Eine schlechte Saisonvorbereitung mit Testspielen, die schon schlimmes erahnen ließen. Diese Hauptfaktoren des sportlichen Niedergangs stehen in Wechselwirkung mit vielen weiteren Ursachen für die aktuelle Stimmung und die u.a. aus diesem Grund entstehende Misere: mal wieder lange Hauptsponsorensuche vor der Saison, immer noch keinen Ärmelsponsor, die schon jahrelang laufende Suche nach „strategischen Partnern“, die ewige Unruhe im Verein etc. Und dann wäre da natürlich noch der weiter bröckelnde Rückhalt der Fans zu nennen. Sie reisten bei Wind und Wetter, unter der Woche quer durch die Republik zu den unattraktivsten Auswärtsspielen, gaben alles, ihren Verein nach vorne zu peitschen. Aber sie bekommen seit Jahren sportlich nichts zurück. Auf Tiefpunkt folgt Tiefpunkt folgt Tiefpunkt. Die daraus resultierenden, sinkenden Zuschauerzahlen und die immer zahlreicher werdenden Fans, die dem Verein desinteressiert den Rücken kehren, tun ihr Übriges. Kein Teil des Gesamtkonstrukts, weder die Spieler noch die Fans, schaffen es, den jeweils anderen Teil mitzunehmen und aus dem Loch zu ziehen. Eine Hiobsaufgabe für die Vorstände Thomas Gries und Michael Klatt, die Stimmung herumzureißen und das Team wieder auf Kurs zu bringen. Dennoch: Auf dem Betzenberg sollten alle Räder in Bewegung gesetzt werden, den nächsten Glücksgriff zu landen und eine sportliche Kehrtwende einzuläuten; sei es ein neuer Trainer oder im Winter mit einem Transfercoup, der jedoch erst mal zu stemmen sein müsste. Ohnehin könnte es da bereits zu spät sein.
Falls der Verein am Ende der Saison zum ersten Mal in seiner Vereinsgeschichte in die dritte Liga absteigen sollte, ist der Niedergang des einstmaligen „Herzen der Pfalz“ in jedem einzelnen dieser Bereiche, und daraus resultierend in der gesamten, jetzt schon Jahre andauernden Entwicklung des Vereins begründet. Und nicht in einer skurillen, gegen den FCK, aber letztendlich korrekt entschiedenen Szene im September in Sandhausen.
Danke für die sehr sachliche Schilderung. Ich stand in Heimblock A3, an der Oberkante des oberen Schaubildes, und habe sehr deutlich einen Pfiff vernommen und mich, bis zur Aufregung danach, kurz gewundert, wo da ein Foulspiel gewesen sein sollte.
Danke, wirklich danke für diese realistische Beschreibung. So ist es, und nur so!